16.07.2020
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Der Individualtourismus kam in den Debatten um Hilfspakete im Zuge der Pandemie viel zu kurz, obwohl es sich um einen riesigen Markt handelt. Allein das Ferienhaussegment in Deutschland umfasst rund eine Millionen Betten. Jede vierte Übernachtung in Deutschland findet in einem Ferienhaus oder einer Ferienwohnung statt. Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Miriam Brenner hat ein privates Ferienhaus an der Ostsee. Rund elf Wochen im Jahr nutzt sie es selbst. Den Rest des Jahres kümmert sich eine Agentur um die Vermietung. Bis Mitte März lief es gut. Wie immer in den vergangenen Jahren. Die Auslastung übers Jahr gesehen lag zuletzt bei nahezu 60 Prozent. Dann kam COVID-19. Wie die meisten Vermieter von Ferienwohnungen hatte Brenner keinen Anspruch auf Soforthilfen. Bund und Länder verlangten dafür, dass die Vermietung im Haupterwerb erfolgt. „Das ist bei uns wie bei vielen anderen aber nicht der Fall“, sagt die 54-Jährige aus der Nähe von Hannover. Was an Umsatz ausfiel, musste aus eigener Tasche gedeckt werden, um die laufenden Kosten zu decken. Bei den Brenners – zwei Hauptverdiener, keine Kinder – ging das.
„Allerdings haben wir viele Hilferufe von Vermietern erhalten, die nicht wissen, wie es weitergehen soll“, erzählt Michelle Schwefel, Leiterin der Geschäftsstelle des Deutschen Ferienhausverbandes. „Viele haben ihre Häuser saniert, Kredite dafür aufgenommen und mit den Jahreseinnahmen kalkuliert. Bei anderen geht es um die Altersvorsorge oder den Kredit für das eigene Wohnhaus, für dessen Finanzierung die Einnahmen aus der Ferienwohnungsvermietung essenziell sind“, so Schwefel, die damit klar macht, dass besonders im FeWo-Bereich Privatiers die Zeche zahlen. Wenn man jetzt weiß, dass laut einer Erhebung des Ferienhausverbandes rund 70 Prozent aller Objekte am Markt von privater Seite stammen, wird die Dimension klar – und warum das Segment, anders als die meisten Hoteliers, bislang vergleichsweise gut durch die Krise gekommen sind:
Die Last liegt verteilt auf den Schultern von Hunderttausenden. Aber für alle gilt: „Der verstrichene Buchungszeitraum ist nicht wieder wettzumachen. Es gibt keinen Nachholeffekt, die Verluste bleiben“, so Schwefel. Trotz fehlender Corona-Hilfen und dem ausgefallenen Ostergeschäft für Gastgeber, Agenturen, Vermittler und Portale haben die Destinationen also erst einmal keinen massenhaften Wegfall von
Zimmern zu befürchten. Für den Re-Start des Deutschlandtourismus ist das essenziell. Denn Ferienhäuser und Ferienwohnungen stellen vielerorts nicht nur das Gros der Unterkünfte, allen voran im ländlichen Raum, „die Unterbringungsart empfiehlt sich auch gerade jetzt, da sie kontaktarm ist und durch die Selbstverpflegung nicht vor den gleichen Herausforderung wie Unterkünfte mit Verpflegungsangebot steht“, sagt Magdalena Lexa, Geschäftsführerin der OBS OnlineBuchungService GmbH.
„Die Anreise im eigenen Pkw als kontaktarmes Verkehrsmittel, kontaktlose Schlüsselübergabe und die Möglichkeit, hier ähnlich abgeschirmt Zeit zu verbringen wie im eigenen Heim oder wie es im Rahmen von Regularien erforderlich ist: Das sind Entwicklungen, die sogar über den Moment hinausreichen. Auch Kunden, die bisher verstärkt Pauschalreisen ins Ausland gebucht haben, werden nun Urlaub im Ferienhaus in Deutschland buchen und nachhaltig Geschmack daran finden“, meint Ricarda Kies, Mitglied der Geschäftsleitung bei DS Destination Solutions.
Trotz der neuen Relevanz dieser Ferienform und ihrer engen Verknüpfung mit dem ländlichen Raum – oder gerade deswegen – ist das Segment zahlenmäßig alles andere als gut dokumentiert. Die erste und bis dahin letzte umfangreiche Studie stammt vom dwif aus dem Jahr 2015, bezieht sich aber auf Daten aus 2014. Zusätzlich zu den damals bereits bekannten 32 Millionen Übernachtungen in gewerblichen Ferienimmobilien, fanden rund 71 Millionen Übernachtungen im privaten Ferienhausmarkt statt.
Gewerblicher und privater Ferienhausmarkt zusammen kamen bei konservativer Annahme damit auf mindestens 103 Millionen Übernachtungen pro Jahr in Deutschland. Das entsprach 2015 bereits 21 Prozent aller bundesweiten Übernachtungen, 14 Prozent davon entfielen auf nicht-gewerbliche Ferienimmobilien. Dass es in Wahrheit wohl noch mehr waren, lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass die Studie jene Privatvermieter nicht erfassen konnte, die nur temporär auf Airbnb angeboten hatten. Den Bruttoumsatz gibt das dwif im FeWo-Sektor bei Tagesausgaben von 77,30 Euro pro Person mit insgesamt knapp acht Milliarden Euro an.
Andere Studien gehen von bis zu zehn Milliarden Euro aus. Die Erhebung erfolgte über eine tief gegliederte Analyse in 1.059 repräsentativ ausgewählten Städten und Gemeinden in ganz Deutschland. Auch alle „Magic Cities“ wurden in die Stichprobe einbezogen. Ausgewertet wurden nicht nur die jeweiligen Gastgeberverzeichnisse, sondern auch eine Reihe von Buchungsplattformen. Mehrstufige Datenabgleiche sorgten für die Vermeidung von Doppelerfassungen. Ein spannendes Ergebnis: Der Ferienwohnungsmarkt war zum Zeitpunkt der Studie viel stärker als die Hotellerie ein BinnenProdukt. Nur 9,6 Prozent der Übernachtungen wurden aus dem Ausland generiert. Viel dürfte sich daran bis heute nicht geändert haben. Dafür eignet sich das Segment viel besser als die Hotellerie, um Gäste länger in einer Region zu halten: Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer war im gewerblichen Ferienhausmarkt mit 5,6 Tagen deutlich länger als bei allen anderen Beherbergungsformen (2,6 Tage). Ein Fünftel aller Übernachtungen im privaten Ferienhausmarkt werden allein in Bayern getätigt. Zählt man Niedersachsen und Schleswig-Holstein noch hinzu, die volumenmäßig auf Platz zwei und drei liegen, werden knapp die Hälfte aller
Um in der Re-Start-Phase – und im besten Fall darüber hinaus – vom Trend zum Urlaub in Deutschland zu profitieren, haben viele Regionen in Kooperation mit den Technologie-Anbietern zwischen Ende März und Mitte Mai die Zeit genutzt, um mehr Gastgeber als vorher online buchbar zu machen. „Im Rahmen unserer Aktionskampagne ‚Jetzt! Stark machen für die Zeit danach‘ haben wir ein umfangreiches Schulungs- und Beratungsangebot mit konkreten Handlungsempfehlungen initiiert“, so Lexa. Weil auf Seite der Partner und Gastgeber viel Unsicherheit herrschte, wurde bei der OBS auch der telefonische Support durchgehend im vollen Umfang weiter angeboten.
Dennoch: Ländliche Tourismusregionen haben nach wie vor zu wenige online buchbare Gastgeber. Ein Fakt, der den Wunsch vieler, die eigentlich gerne eine Auszeit fernab der Städte geplant hätten, an der digitalen Realität zerschellen lassen könnte. „Das Angebot entspricht vielerorts nicht ansatzweise den tatsächlich verfügbaren Kapazitäten. Und das gilt nicht nur für Bayern, sondern ist ein bundesweites Problem“, sagt Dr. Michael Braun, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Ostbayern und Geschäftsführer der OBS. „Aber wir haben feststellen können, dass durch die Krise die Notwendigkeit der Onlinebuchung auch von den Gastgebern erkannt wurde, die sich dem digitalen Vertrieb bis heute verschlossen hatten.“
Doch nicht nur die großen Portale wie Booking.com oder Airbnb gehen aus dieser Zeit gestärkt hervor – auch die lokalen Netzwerke. Die globalen Portale hat das Föderalismusprinzip mit seinen teils abweichenden Regelungen je Bundesland speziell in der Lockerungsphase vor Probleme gestellt. „Akteure vor Ort, wie Gastgeber, Agenturen oder DMOs haben sich in dieser Phase nun stark darin bewährt, schnell auf Veränderungen für ihren geographischen Raum zu reagieren und gute Lösungen anzubieten“, sagt Ricarda Kies von ds. Diese Bemühungen seien „allerorts sichtbar“. Eventuell ändert die Corona-Krise den Blick auf das Segment auch bei der Politik, die in den letzten Jahren allen voran damit beschäftigt war, landauf landab eine Flut von Regulierungen bis hin zu Zweckentfremdungsverboten für das Segment zu erlassen. Die Hoffnungen der Branche ruhen daher auch darauf, dass ihre Belange grundlegend in die nationale Tourismusstrategie einfließen. Auch wenn die auf sich warten lässt.