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„Tourismus ist das neue Gold“

23.12.2019

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4 min

Auszug aus der Keynote zum Tourismustag MV zum Thema Digitalisierung von Sascha Lobo, Autor und Blogger

© Sascha Lobo, Autor und Blogger. Foto: Reto Klar

Streng genommen ist die Überschrift natürlich Unfug, denn Tourismus ist ein uraltes Gold. Sowohl gesellschaftlich durch die sprichwörtliche Horizonterweiterung wie auch ökonomisch als einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Aber kaum eine Branche verwandelt sich derzeit so umfassend, getrieben von machtvollen Kräften wie der Digitalisierung, der Weltpolitik und dem Klimawandel.

Zu allem Überfluss sind solche Entwicklungen auch noch untereinander verbunden, gewissermaßen nach guter Art des Netzes. Bis es Elektro-Dampfer gibt, wird man einer kommenden Generation weniger leicht Kreuzfahrten verkaufen können. Urlaubsorte mit schlechtem Handy- Empfang fühlen sich für viele nicht wie Erholung, sondern wie Folter an. Und wer einen nachhaltigen, grünen Urlaub machen möchte, fragt vielleicht nicht nur nach veganer, regionaler und saisonaler Kost, sondern auch nach den Arbeitsbedingungen und Bemühungen um Diversität. Der Schlüssel zum Verständnis dieses vielschichtigen Wandels ist aber zweifellos das Netz. Vor einer Reise steht meist die Entscheidung über das Ziel, und hier greifen Internet und speziell soziale Medien massiv und unerbittlich in jedes Detail ein.

Destinationen werden nach Instagramability ausgesucht, Community-Empfehlungen können weit wichtiger sein als Presseartikel und ein paar schlechte oder boshafte Bewertungen können Millionenschäden mit sich bringen. Diese Mechanismen sind lange bekannt, die Reaktionen der Tourismus-Branche manchmal schwerfällig und unbeholfen, aber immerhin vorhanden. Was jedoch neu ist – oder besser neu entstehen sollte – ist eine Haltung. Die Zukunftsfähigkeit des Tourismus hängt weniger davon ab, ob ein Hotel auf Facebook ist, ob ein Badeort ein eigenes Blog führt oder ob ein Gastronomiebetrieb auf Snapchat publiziert. Sondern von Inszenierung und Inszenierbarkeit. Und genau dafür braucht man im Tourismus eine andere, radikal digitaloffene Haltung.

Inszenierung bedeutet im Tourismus nichts anderes als eine Fokussierung auf Geschichten. Die können mit Worten, Bildern und Filmen erzählt werden, aber sie müssen eben auch erzählt werden. Und zuvor entweder entdeckt oder entwickelt werden. Die Essenz der Inszenierung mit Geschichten ist die Weitererzählbarkeit. Soziale Medien funktionieren auf diese Weise, Twitters Retweet-Button oder Facebooks Share sind moderne Formen des Weitererzählens. Man sollte glauben, dass anderthalb Dekaden nach der Erfindung des sozialen Übermediums Facebook die wesentlichen Mechanismen der neuen digitalen Öffentlichkeit bekannt sind – aber das ist, speziell in Deutschland, leider nicht der Fall. Zu oft werden Netz und soziale Medien bloß als weiterer Kanal betrachtet, auf dem man ähnliche Inhalte unter die Leute bringt wie via Broschüre oder Pressearbeit.

Instagram ist für junge Menschen in den USA das Medium, in dem sie ihr nächstes Reiseziel finden. Einige wenige Fotos auf diesem Netzwerk haben nachweislich zu touristischen Anstürmen geführt, und es sind fast immer Fotos, die eine eigene Geschichte erzählen oder deren Anmutung inszenieren. Die Wirksamkeit von Erzählungen lässt sich auch daran erkennen, dass etwa die Filmsets von „Herr der Ringe“ in Neuseeland oder von „Game of Thrones“ auf den britischen Inseln zu Touristikmagneten geworden sind. Aber weil nicht jede Destination das Glück hat, weltweit beachtete Filmhits hervorgebracht zu haben, bleiben als Alternative zum Netflix-Blockbuster diejenigen Erzählungen, die im Netz wirksam werden. Und diese wiederum haben eine entscheidende Gemeinsamkeit: Inszenierbarkeit. Denn im Netz geht es nicht nur um die eigene, gut erzählte Inszenierung der Unternehmen und Regionen – sondern um die Möglichkeit der Gäste, sich vor Ort selbst zu inszenieren. In anderen Teilen der Welt hat dieses Prinzip den Tourismus und angrenzende Branchen längst verändert. Schon 2015 hat „Wired“, die wichtigste Digitalzeitschrift der Welt, festgestellt, wie Instagram die professionelle Gastronomie transformiert.

Weil gerade in hochpreisigen Restaurants die Gäste Fotos der Gerichte veröffentlichen wollen, werden Teller ve rwendet, die beim Fotoblitz weniger spiegeln. Die Beleuchtung an den Tischen wird auf Smartphone-Fotos abgestimmt. Die Gerichte werden möglichst instagramable komponiert. Das Auge isst mit, das elektronische Auge wirbt mit. Ein einzelnes Posting der richtigen Person kann einem Restaurant tausende neue Kunden bescheren oder ausbleiben lassen. Das hört sich ungerecht an und ist es manchmal auch, aber es entspricht einer neuen, touristischen Realität. Fast als Ausgleich müssen wir zu Beginn des dritten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends feststellen: Tourismus ist das neue Gold und zwar aus einem eher technischen und gesellschaftlichen Grund.

Denn einerseits ist das Smartphone ein Gerät, wie es sich der Tourismus nicht großartiger hätte wünschen können. Mobil, aktivierend, konsumfreudig, spontan und im Zweifel sehr an der direkten Umgebung orientiert. Wenn es jetzt auch noch eine menschenwürdige, digitale Infrastruktur in Deutschland gäbe! Andererseits lässt sich eine gesellschaftliche Entwicklung erkennen, die Touristikern die Tränen der Freude in die Augen treiben sollte. Seriöse Untersuchungen zeigen, dass die ab 1985 geborene Generation, die Millennials, deutlich weniger materialistisch sind als die Generationen zuvor. Statt sich immer neues Zeug zu kaufen, legen sie sehr viel mehr Wert auf Erfahrungen. Und natürlich die Inszenierung dieser Erfahrungen in sozialen Medien zum Zweck der Selbstdarstellung. Eine eigene Experience Economy entsteht. In einer Epoche aber, in der drei Wochen Ostseestrand interessanter wird als ein neuer Flatscreen, hat Tourismus alle Chancen, zum Vorreiter zu werden.